Finding Tengelmann, das Herbarium
Die Unternehmensgruppe Tengelmann zieht sich seit dem Verkauf der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann immer mehr aus der Lebenswelt ihrer Kunden zurück. Im Zuge der Transformation wird die Corporate Brand von der bewussten öffentlichen Wahrnehmung entkoppelt. Verglichen mit den Anstrengungen früherer Zeiten, als Familienunternehmen wahrgenommen zu werden, gleicht die Tengelmann Twenty-One KG heute einem Wirtschaftsmonolithen. Gleichzeitig sind uns bei der Arbeit an »Finding Tengelmann« so viele Geschichten mit den Unternehmen von Tengelmann begegnet, die uns in ihrer Fülle und Tiefe beeindruckt haben. Wir entschieden uns, diese umherschwirrenden Beziehungsgeschichten einzufangen, die eine solche soziale Kraft erkennen ließen, dass sie als Kultur des Alltäglichen bezeichnet werden können.
»Es gibt Kräfte, die den von den Naturwissenschaftlern untersuchten merkwürdig gleichen und die doch ganz anderen Gesetzen gehorchen. Diese rätselhafte Mischung aus hartnäckiger Widerständigkeit und perverser Komplexität scheint weit offenzustehen und doch trotzt sie jeder Untersuchung.«
(Latour & Roßler, 2007, S. 41)
Um diese Geschichten festzuhalten, haben wir Dinge genutzt, die als Interfaces für die Beziehung von Menschen zu Tengelmann dienten. Dinge als Geschichtenträger. Auf unserer Suche nach Tengelmann-Dingen haben wir über eBay-Kleinanzeigen und im Bekanntenkreis Produkte von Kaiser’s, OBI und KiK aufgetrieben. In diesem Kontext haben wir nach dem Platz der Objekte im Leben der Besitzer gesucht. Wir ließen uns ihre Geschichten erzählen, um so Aussagen über die Beziehungen zwischen Menschen und Tengelmann festhalten zu können.
Um die Objekte mit den Beziehungsgeschichten zu katalogisieren, fanden wir in dem aus der Biologie stammenden Sammelformat des Herbariums eine passende Adaption. Neben dem Umstand, dass die in naturwissenschaftlichen Herbarien abgebildeten floralen Objekte selber Stellvertreter für andere Artgenossen sind, ist auch die freie Kuratierung (der Zufall der Begegnung, des Auffindens) für eine Überführung in die Sozialwissenschaft geeignet. Wie in der Biologie geht es letztlich um den Rückschluss des einzelnen Fundes auf ein größeres System. Und wie in der Biologie lässt sich diese Sammlung immer weiter fortsetzen, ohne jemals Vollständigkeit erreichen zu können. Die Summe aller hier abgebildeten Beziehungen kann man als einen kulturellen Einblick in eine damals sicher geglaubte Mittelschicht sehen, die besonders in der Beziehung der Berliner zu »ihrem Kaiser’s«, wie so mancher Beziehungsrückblick, nicht frei von Romantisierungen bleibt. Alles in allem zeigt dieses Herbarium der Ding-Beziehungsgeschichten, dass Menschen beachtliche Interaktionen mit Super-, Bekleidungs- und Baumärkten eingehen können.
»Ich habe die auf einer Jobbörse bekommen, auf der ich mit meiner Schulklasse war. Ich wollte sie gar nicht benutzen, weil sie sonst vielleicht kaputt geht, einen Kratzer abbekommt oder so. Aber jetzt darf sie gehen, ich brauche sie nicht mehr. Sie stand bei mir im Regal, fast wie ein Ausstellungsstück und ich habe sie jeden Tag gesehen. Dabei ist OBI eigentlich gar nicht so mein Ding. Ich bin ein Mensch, der nicht so gut wegschmeißen kann. In der Box ist auch noch alles drin, Schlüsselanhänger und andere Sachen. Wir haben zwar einen Garten, aber eigentlich gehen wir mehr zu anderen Baumärkten als zu OBI. Früher bin ich da mit meiner Oma manchmal Lampen einkaufen gegangen. Aber meine Mutter sagt, da ist es teuer, da geht man lieber zu B1 oder wie die anderen alle heißen.«
Samantha, 19 Jahre – Brotdose von OBI